Zum Inhalt springen

Dr. Erika und Grauburgunder

Dr_Erika_und_Grauburgunder

 

Dr. Erika und Grauburgunder waren dem Gedanken der Neutralität nicht abgeneigt. Grauburgunder erklärte deshalb am Wochenende den Küchentisch zur Schweiz. Das Butterfässchen sollte aber keine Einreiseerlaubnis erhalten. Dr. Erika fand das ausnehmend ungerecht – natürlich habe das Butterfässchen kein Zahngold mitgebracht, doch das sei kein schlagendes Argument. Der Engel stippte derweil seine ungewaschenen Finger in das Heidelbeergelee. Grauburgunder lief aus gerechtem Zorn darüber rot an und zerriss vor aller Augen die Konzertkarten für Mozarts Entführung aus dem Serail. Danach schien der Samstag allen wie durch Rauchglas.

Dr. Erika war mit Grauburgunder eben mal um die Ecke, da tauchte der Engel links neben der Mikrowelle auf. Erst zwei Mondphasen zuvor hatte es eine kleine Zwistigkeit gegeben: Grauburgunder meinte, dass Engel nie niesen. Dr. Erika dachte da ganz anders. Die Stimmung wurde sogar so schlecht, dass Grauburgunder den frisch gebrühten Holunderblütentee ganz alleine trank. Aber das war jetzt schon lange her und der Engel hatte am nächsten Tag versichert, dass beide Recht hätten. Zur Bestätigung hatte er sogar Grauburgunder seine Nasenwurzeln anfassen lassen. Dr. Erika mochte den Engel zwar auch ganz gerne anfassen, aber keine erotische Spannung aufkommen lassen. Allein den Wickeltisch langweilte die ganze Angelegenheit. Der Engel bemerkte, dass weder Grauburgunder noch Dr. Erika in der Küche waren und machte sich sofort über alle Drogen her, derer er habhaft werden konnte. Ein guter Rausch, das war von jeher sein Credo, sei einem schlechten Gewissen allemal überlegen. Und recht hatte er – zumindest hatte der gesamte Schulsportverein Binswangen bei seinem letzten Referat zu diesem Satz genickt.

Dr. Erika und Grauburgunder sammelten längst ausgestorbene, handhabbare Begattungstechniken. Die Nähe zum trivialen Sex ist mir zuwider, war dabei ein Totschlagargument, das Grauburgunder gern und oft nutzte, wenn er über das zugesandte Material mit Dr. Erika nicht einer Meinung war. Der Engel indes lobte die engagierte Herangehensweise beider, verwies aber auf seine einschlägige Erfahrung auf genau diesem Gebiet. Demokratie ist kein krisenfester Beruf, meinte er, und, was nicht ist, wollt ihr nicht werden. Dr. Erika war in Sachen Kryptographie nicht allzu firm und nahm solch einen Anwurf gern persönlich. Das verleidete der ganzen Gruppe manche Nächte, die nicht von vornherein unter einem sozialen Stern standen. Genau dann ließ Grauburgunder gern einen Satz fallen, den er auf der Diktatoren-Freizeit 1987 aufgeschnappt hatte: Macht allein macht auch nichts wett.

Dr. Erika und Grauburgunder verwalteten gemeinsam schlecht laufende Lederwarengeschäfte. Grauburgunde mochte Leder und schwärmte bei jedem Saunagang davon. Dr. Erika fühlte sich eher auf rein professionelle Art und Weise zu Leder hin gezogen. Aber genau diese Mischung aus Leidenschaft und wissenschaftlicher Willkür machte letztendlich wenig Sinn. Der Engel tauchte dennoch auf, wann immer er mochte und brachte die Ladenglocke zum Läuten. Mein Blick ist unverstellt, pflegte er zu sagen, während er die Kussterrine umrührte, das habe ich aus amerikanischen Cartoons der zwanziger Jahre gelernt. Grauburgunder verabscheute Prahlereien dieser Art und konterte mit einer weitreichenden Aufzählung von Bibertieren. Dr. Erika schämte sich dessenthalben oft genug.

Dr. Erika und Grauburgunder liebten den Sonnenaufgang. Schon am Abend davor. Die Liebe davor sei das, was die Liebe danach immer sein möchte, pflegte Grauburgunder zu sagen. Dr. Erika nickte dann, musste aber mächtig aufpassen, dass der Engel währenddessen nicht wieder beim Skat mogelte. Bunte Aufblasboote dümpelten dem Meer entgegen und Frau Giesing machte Zinnsoldaten aus Zucker. Das war ihr Hobby und Hobbies tragen keine Protektoren.

Dr. Erika und Grauburgunder waren allein der Tombolaöhrchen wegen nach Norden gereist. Auf dem Weg bezichtigte Grauburgunder den Engel krauser Denke. Und das nur, weil der Engel ehemals nationale Sozialisten mit Nationalsozialisten in einen Topf geworfen hatte ohne umzurühren. Der Engel meinte, ihm sei nichts menschliches fremd. Doch Grauburgunder trug seine Kultursocken mit Stolz und wollte das Lenkrad nicht so einfach aus der Hand geben. Zumindest nicht ohne eine Entschuldigung des Engels. Dr. Erika war übernächtigt und reagierte deshalb sehr sensibel auf etwaige Zwischentöne. Das war genetisch bedingt und lag in Dr. Erikas Familie. Das Fahrzeug fuhr an der richtigen Ausfahrt vorbei und alles lamentieren des Engels nutzte nichts – die Tombolaöhrchen waren alle. Das Volk nahm keine Notiz davon.

Dr. Erika und Grauburgunder teilten das gleiche Schicksal. Nur über die Aufteilung stritten sie desöfteren: halbe-halbe meinte Dr. Erika, fitfty-fifty erwiderte Grauburgunder. Der Ausflug in die Pyrenäen war dadurch aber nicht gefährdet, ganz im Gegenteil. Grauburgunder gab sich schon seit Tagen ungehemmt Frischfleischfantasien hin und ließ keine Gelegenheit aus, den Engel dabei taktisch einzubinden. Doch der Engel war abgelenkt – bei seiner letzten Sauftour hatte er das Tabernakel irgendwo liegen lassen. »Der einsame Ritter« fiel ihm ein und »Rudi’s Baude« (den Apostroph hatte sich Rudi schwer verdient), danach war er wohl mit der feschen Gisi noch im »Kappeneck« auf ein, zwei Himbeergeist. Dr. Erika war auf Gisi nicht gut zu sprechen und das Wort Luder schwebte im Raum, doch fiel nicht. Aus diesen und ganz anderen Gründen war der gemeinsame Besuch im Trekking-Shop denn auch kein voller Erfolg. Schlafsäcke, fand Grauburgunder, seien ein schwieriges Thema. Der Engel nickte wissend und Dr. Erika wollte kein Sturmfeuerzeug mehr sehen.

Schreibe einen Kommentar