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SEA MONKEYS leben GARANTIERT

Schön war es, krank zu sein. Von Schulfreunden wurden einem Respekt und Anerkennung gezollt und im trauten Heim vergaßen meine Eltern, sich zu streiten. Meine Schwester und ich bekamen die Windpocken. Ich stark. Mein ganzer Körper war übersät mit flüssigkeitsgefüllten Blattern. Ich fühlte mich wie einer dieser Aussätzigen aus meinen Abenteuerromanen. Der schlimmste Alptraum eines jeden Piraten. Wer nicht gehorchte, wurde auf einer der Leprainseln ausgesetzt. Hier verlor man nicht nur seine Gliedmaßen und langsam den Verstand sondern auch jede Art der Selbstachtung.

 

Sea-Monkeys

Bei mir war es das Gegenteil. Meine Mutter riss sich am Riemen und umsorgte uns. Mein Vater brachte Geschenke mit nach Hause und interessierte sich wenigstens für die zwei oder drei Wochen währende Krankheit für mich. Es gibt heute noch Bilder, wie meine Schwester und ich mit einer eklig riechenden Tinktur beschmiert Grimassen schneidend in die Kamera grienen.

Ich wühlte mich in den ruhigen Wochen der Krankheit durch Berge von Comics, die mein Vater anschleppte. Und wir bestellten die Sea Monkeys. Mein Vater riet mir wohlwollend ab, ich wollte nur die notwendigen fünf Mark. Ich bekam sie und kurz darauf mit der Post „Ein Hobby für die ganze Familie. Lebende SEAMONKEYS aus der Tüte unglaublich aber w a h r!“

Ich kümmerte mich herzlich um sie. Aber auch nach Tagen war aus der unansehnlichen braunen Suppe in meinem Goldfischglas nichts weiter geworden, als klares Wasser mit Ablagerungen am Boden. Ich hatte meinen ersten Genozid veranstaltet, einen weiteren auf deutschem Boden. Ein Volk von lebenshungrigen Sea Monkeys war auf mein Betreiben hin ausgerottet worden, darunter „lebende, atmende Tierchen, Männchen, Weibchen und Babies“. Ich musste etwas falsch gemacht haben und weinte bitterlich. Mein Vater streichelte mir über den Kopf und sagte: „Na siehste.“

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