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Das große Zittern

Das große Zittern hatte gerade begonnen, da fand Frau Sens ihren Mann auf dem Dachboden. Seit Jahren hatte sie ihn schon vermisst, doch der Schmerz war mit der Zeit langsam einem dumpfen und erträglichen Drücken gewichen. Manchmal wusste sie schon nicht einmal mehr, dass es einen Herrn Sens überhaupt gegeben hatte. Auch deshalb ging sie einfach an ihm vorbei und holte beherzt die wächserne Truhe mit den Befindlichkeitsbriefen aus ihrer Jugend hervor, die sie sodann fein und brav nach Farben sortierte. Und immer dann, wenn ihr Mann ein Geräusch machte, zählte sie langsam bis drei. Kurz versuchte sie zu glauben, das Geräusch eben hätte wirklich ihr Mann gemacht. Aber weil dieser Gedanke ausnehmend blöde war und dumm zugleich, vergaß sie Herrn Sens dann wieder.

Leider wurde es bald recht kalt auf dem Boden. Aber zurück ins Wohnzimmer mochte sie nicht – da wartete ihre zweite Tochter. Die war auch schon seit vielen Jahren nicht mehr da.

Frau Sens fühlte sich langsam sehr, sehr müde. Und allein.

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