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Wir vom Oberdorf …

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Mein Vater hatte sich ein Haus gebaut. Er hatte uns ein Haus gebaut. Meiner Schwester und mir – das betonte er immer. Als es endlich stand, wohnten natürlich erstmal alle drin, das heißt, er residierte, wir wohnten.

Wir wussten damals nichts vom Mythos Eigenheim. Und auch nichts von seinen Begleiterscheinungen, den Magengeschwüren, schlaflosen Nächten und witzelnden Freunden, die meinen Vater mitleidig und vielleicht auch ein wenig neidisch anlächelten, wenn er leicht angetrunken in der Küche vom Hausbau erzählte.

Wir wussten nur, dass wir in eine Burg aus Sichtbeton ziehen sollten, wie sie gerade Anfang der 80er der letzte Schrei waren. Noch heute leiden Studenten und Schüler unter den Wohn- und Lernmaschinen der Spätsiebziger. Unser Haus war ein Paradebeispiel für diesen Stil – mit einem fast bis zur Straße heruntergezogenen Dach aus Schieferschindeln. Grau und trutzig stand es in einem Dorf kurz vor Augsburg. Oben an der Ecke, auf einem Berg, der das Unterdorf vom Oberdorf trennte. Unten lebten die alteingesessenen Bauern und Dörfler, oben die »Großkopfeten mit Diri-Dari«. Zum größten Teil Zugezogene, die im Speckgürtel um die Stadt lebten. Was das für unsere Integration in die Dorfgemeinschaft bedeutete, davon ahnten wir Kinder nichts.

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Der tote Leib Christi

Doch die abschätzigen Blicke unserer Nachbarn vom Unterdorf fielen uns schnell auf. Die kaum versteckten Andeutungen, wenn ich geschickt wurde, um frische Eier vom Limmer zu holen. »Für eich da obn frische Eia? Geht’s net zum Subbermargd?« Das grimmige Nicken der alten Männer, die mit Karren voller Winterholz knurrig an meiner Schwester und mir vorbeizogen, wenn wir von der Schule kamen. Der behinderte Junge — »drr bleede« – der unten am Berg immer vor dem toten Jesus stand und in der Nase popelte.

Die Dorfjugend lernte ich recht früh und vor allem auf die harte Tour kennen. Aus unserer ersten geselligen Bolzerei auf einem Acker wurde schnell eine unbarmherzige Schlacht. Es waren die von dort stammenden Platzwunden, die ich in der Schule stolz wie ein Panier vor mir hertrug. Freunde gewann ich dabei nicht. Haus_und_Hof_1Ich war ein leidlich guter Fußballspieler. Im Tor konnte ich zwar einigermaßen glänzen, das wusste aber noch keiner. Überhaupt standen hinten im Tor ja meist »die Großa«, sie rauchten und spuckten auf den Boden.

Beim Flipperspiel im Wirtshaus „Zur Post“ hingegen war ich gern gesehen. Also meine fünf Mark. Manchmal durfte ich bei der dritten Kugel ran, wenn die anderen das Spiel schon aufgegeben hatten. Manchmal machte ich aber noch genug Punkte, dass fast ein Freispiel raussprang – was einer der Großen dann meist vereitelte, indem er gegen den Flipper trat und ich das vertraute »TILT«-Geräusch hörte.

Zweimal begehrte ich auf.

Zweimal trug ich eine blutende Nase davon.

 

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