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Davonlaufen

Laufen ist wichtig. Weiterlaufen ist wichtig. Bewegung ist wichtig. Dabei nehme ich mein Gehirn mit. Ich muss ja. Mein Gehirn läuft selber, während ich laufe. 

Ich laufe durch die Stadt. Fast täglich. Wohin mich meine Füße tragen. Mit Laufen meine ich ein strammes Gehen. Kein Schlendern. Kein Joggen. Kein Flanieren. Kein Mensch sagt, »Ich flaniere etwas davon.« Aber davonlaufen, davonlaufen is a thing. 

Ich habe meine Kamera dabei. Ich habe immer eine Kamera dabei. Und mit einer Kamera meine ich eine von vielen Kameras, die ich besitze. Aber eigentlich macht jede dieser Kameras das gleiche: Sie verengt diese beschissene Welt auf ein kleines Rechteck – den Sucher. 

Ich trage die Kamera nicht dauernd am Auge. Kein Mensch macht sowas. Nicht, wenn er nicht in einen arbeitstätigen oder einen obdachlosen Menschen laufen will. Oder über ein Kind – das sehen die Eltern nicht gern. 

Aber selbst, wenn ich die Kamera nicht am Auge trage, sehe ich nur Ausschnitte. Ein Bühnenbild, das von Schauspieler*innen bevölkert wird, die ihr Script vergessen haben. Oder es gelesen haben, aber das ganze Stück nicht kennen. Deshalb sind sie verloren. Sie tun etwas, weil es im Script steht. Aber sie wissen nicht, wofür ihr Tun gut sein soll. Ich kenne das Stück auch nicht. Es wirkt noch ungeschliffen, ein wenig wie der britische Realismus im zeitgenössischen Theater. 

Während ich davonlaufe, spüre ich meine Wut. Meine Wut auf Cafés, die Flat Whites für 3,20 Euro anbieten. Meine Wut auf Autos, die in der Stadt herumstehen und für nichts gut sind, wenn sie stehen. Wenn sie fahren, sind sie praktisch, aber tödlich. Meine Wut auf Eltern, die ihre Kinder anschreien. Meine Wut auf Kinder, die ihre Eltern anschreien.  

Ich bin genervt, weil ich gerade dieser Wut davonlaufen will. Aber meine Wut sitzt in meinem Gehirn. Und bisher war es mir nicht möglich, mein Gehirn beim Laufen nicht mitzunehmen. Diesen verdammte Schwamm aus Synapsen, die nach Regeln Energiestöße abgeben, die ich nicht kenne und verstehe.

Ich kann die Zeit für einen kurzen Moment stillstehen lassen. Wenn ich den Auslöser meiner Kamera drücke. Wenn sich in dem Bühnenbild in meinem Sucher alle Dinge und Wesensheiten richtig positioniert haben. Dann drücke ich ab. Dann bin ich nur Auge. 

Dann laufe ich weiter. Weiter davon. 

 

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