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Sie kann noch bleiben

Der Mann meiner Mutter ist heute gestorben. Er war blind. Und er war schon lange krank. Psychisch und körperlich. Uns hatte keine Freundschaft verbunden. Aber Hass auch nicht. Wir hatten unseren Frieden geschlossen. Ich hatte ihm vergeben, dass er — vermeintlicherweise — meiner Mutter Jahr um Jahr zur Hölle gemacht hat. Und er mir hoffentlich, dass ich immer so ein arroganter Klugscheisser war, wenn wir uns trafen. Noch drei Wochen vor seinem Tod habe ich für ihn seine Wohnung gesaugt. Meine Mutter hatte gerade ihre Herz-OP hinter sich und war auf Reha am Starnberger See. Kein Zuckerschlecken. Und jetzt. Jetzt steht der dicke, blinde, tote Mann da und sagt „Erster“ zu meiner Mutter. Und er sagt es leise. Und sanft. Und er flüstert mir zu, „Sie kann noch bleiben. Pass schön auf.“ Ich habe Angst.

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