Ihr habe ich immer den Tod gewünscht. Der Frau, die mir ein Brotzeitbrettchen auf dem Kopf zerschlagen hat. Der Frau, die mich in das Kellerzimmer mit der Tischtennisplatte gesperrt hat. Die mich dort an den heißen Heizungskörper gebunden hat. Ihr wünschte ich den Tod. Einen langen und qualvollen Tod. Weil es nur gerecht gewesen wäre. All das Leid, das sie über unsere Familie brachte. Wie sie es später sogar schaffte, dass meine Schwester und ich uns vor dem Vormundschaftsrichter gegen unsere eigene Mutter aussprachen. Sie hatte gedroht, uns umzubringen. Und wer hätte es ihr nicht glauben mögen? Der Körper erinnert sich an die Schläge, die Knuffe, die ausgerissenen Haare, die Ohrfeigen mit dem Handrücken, den Tag, als ich meine eigene Kotze essen musste, weil ich krank in meine Suppe gespuckt hatte.
Ihm habe ich nie den Tod gewünscht. Dem Mann, der wegschaute, wenn er von Geschäftsreisen kam. Dem Mann, der Stofftiere für meine Schwester mitbrachte und Bücher für mich. Dem Mann, der nicht nachfragte, woher die gespaltene Lippe stammte. Der sich nicht wunderte, dass wir bei schnellen Bewegungen von ihm die Arme schützend vors Gesicht rissen.
Ich kauere oben an der Galerie, ich kann nichts sehen, aber alles hören. Ich höre unten leises, eindringliches Murmeln. Dann einen Schrei. Ein Wimmern. Wieder einen Schrei. Meine Schwester und ich werden nach unten gerufen. Zwei Männer stehen im Raum. Sie steht dazwischen, ihr Gesicht wirkt leer. Sie versucht uns zu umarmen. Wir lassen es nicht zu. Sie erzählt uns vom Tod unseres Vaters. Sie weint und schluchzt. Meine Schwester weint und schluchzt.
Ich weine nicht.
Bis ich verstehe: Sie ist nicht tot.
Ich weine.